Begegnung

Zwei Männer, einer schon älter, etwa Anfang der Achtzig, der zweite etwa vierzig Jahre alt, lebten seit Jahren in der gleichen Stadt. Sie waren sich außerhalb ihres Wohnortes auf diversen Veranstaltungen schon mehrmals begegnet, wussten ihre Namen und waren sich nicht unsympathisch. Sie hatten nur noch nie wirklich miteinander gesprochen. Und sie vermuteten sich gegenseitig an anderen Wohnorten. 

Eines Tages ergab es sich, dass der Jüngere in eine menschenleere Gasse einbog und den Älteren auf sich zukommen sah. Er war sich nicht sicher, ob es sich wirklich um den besagten Mann handelte, da er ihn an diesem Ort nicht erwarten konnte. Bis er sich wirklich sicher war, hatte er ihn halb im Vorbeigehen mit seinem Vornamen angesprochen und gegrüßt, wie man einen flüchtigen Bekannten auf der Straße eben zu grüßen pflegt. Dem anderen war es offensichtlich ähnlich ergangen, er erwiderte den Gruß beinahe zögerlich und war auch schon an dem jüngeren Mann vorbeigegangen. 

Eine seltsame Situation. Beide fühlten sich unwohl, dieses kurze Grüßen ihnen irgendwie zu wenig, beide blieben stehen und drehten sich halb um. Da sie den anderen ebenfalls anhalten sahen, vollendeten sie die Drehung und gingen aufeinander zu. Sie reichten sich die Hände und grüßten sich noch einmal, diesmal bewusst. Sie wechselten ein paar Worte, fanden zufällig ein aktuelles Thema, wegen dem der Ältere den Jüngeren ohnehin kontaktieren wollte. Sie stellten erstaunt fest, dass sie beide seit Jahren in dieser Stadt wohnten und es einfach nicht gewusst hatten. Nach nur wenigen Minuten trennten sie sich, beide mussten weiter. Sie gaben sich abermals die Hand, verabschiedeten sich und lächelten dabei.

“Hat mich gefreut”, sagte der Ältere dem Jüngeren noch nach. “Mich auch”, erwiderte dieser. Beide hatten es aufrichtig gemeint.

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