Schülerfeeling

Ich verrate heute eine Art Berufsgeheimnis: Lehrer in Seminarsituationen sind etwas ganz Spezielles, viele von ihnen nutzen die seltene Gelegenheit, selbst mit Anlauf und voller Wucht in die Schülerrolle zurückzufallen und sich genau so zu benehmen, wie sie es sonst das ganze Jahr lang kritisieren. Das beginnt beim Zuspätkommen, zieht sich über das Schwätzen und Nichtaufpassen bis zum völligen Planlos-Sein, worum es gerade geht, und endet beim dementsprechenden Falschausführen von Übungen. Das wiederum führt dann zum Abschreiben und Schummeln.  Kurz: Gelegentlich sind Lehrer äußerst störend für die Vortragenden und damit für die Gruppe, das wird dann (darauf kann man sich zu hundert Prozent verlassen!) mit halblustigen Schülervergleichen oder Anspielungen darauf erklärt oder “entschuldigt”. Ein häufig gehörter Satz  auf Seminaren lautet dementsprechend: “Jetzt weiß ich endlich mal, wie es den Schülern geht.”

Das sind ganz normale Vorgänge, auch Lehrer auf Fortbildungen sind Menschen und finden nicht immer alles spannend. Manchmal ist die Sichtweise des Sitznachbarn spannender, manchmal gleiten die Gedanken ins Nirvana ab, manchmal interessiert es einen einfach nicht. Man ist vielleicht müde, hat private Sorgen und Probleme mit in den Kurs gebracht, die die Gedanken dominieren und viel wichtiger als der Beruf sind. Man ist eventuell nicht freiwillig da, sondern weil man geschickt wurde oder man hat sich etwas völlig Anderes erwartet. Oder man hat einen komplett irrationalen Grund, nicht aufmerksam zu sein, den man selbst nicht kennt. All das ist nur zu verständlich.

Interessant ist daran allerdings, dass diese Kollegen und Kolleginnen darüber nur sehr wenig reflektieren und die eigenen Verhaltensweisen im Unterricht bei anderen streng sanktionieren. In diesem Moment haben sie dann offensichtlich bereits wieder vergessen “wie es den Schülern geht.” Sie stehen jetzt wieder im Mittelpunkt, müssen/wollen ihren Stoff “durchbringen” und jede Störung hindert sie am Erreichen dieses Ziels und muss deshalb beseitigt werden. Hier tritt das Verständnis hinter den inneren und auch äußeren Druck zurück. Ich vermute, dass ein Grund dafür ist, dass viele Lehrer dieses Verhalten als Schüler selbst nie bewusst oder (noch viel schlimmer!) gar nicht erlebt haben.

Vielleicht täte es in solchen Situationen gut, sich an Fortbildungen und die eigene Stimmung und das Verhalten dort zu erinnern und daraus Schlüsse auf die Arbeitsumgebung und die Schüler zu ziehen. Ich denke, dass Störungen nur in den seltensten Fällen aus Böswilligkeit passieren und viele Lehrer anders damit umgehen würden, wenn sie sich ihrer eigenen Schul- oder Seminarzeit besser besinnen (im wahrsten Sinne des Wortes) würden. Oder um es mit Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore zu sagen:

“Youth cannot know how age thinks and feels, but old men are guilty if they forget what it was to be young.”

 
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